Strategie im Dialog

Die Wiener Stadtverwaltung auf dem Weg zum Government 4.0

Die globale Digitalisierung und die Etablierung einer Wissensgesellschaft stellen neue Anforderungen an die Verwaltung und verlangen ein neues Führungsverständnis. Die Wiener Stadtverwaltung reagiert auf eben jene Veränderungen und kommt der zunehmenden BürgerInnenbeteiligung durch eine innovative Führungskultur und ein aufgabenadäquates Management nach.

Die Welt verändert sich. Die Verwaltung auch. Soll ein neuer Ansatz in die Breite getragen werden, braucht er die Lenkung durch die Führungsebene. Magistratsdirektor Dr. Erich Hechtner legt das Hauptaugenmerk deshalb auf zwei wesentliche Aspekte: Auf die Strategieentwicklung der Verwaltung einerseits, auf die Ausrichtung des Managements auf die neue Rolle in der Gesellschaft andererseits. Ein historischer Abriss hilft, um diese Entwicklung besser zu verstehen:

Von der Machtausübung zur Dienstleistung

Die Entwicklung der Verwaltung reicht von der absolutistischen Machtausübung und herrschaftlichen Willkür (Verwaltung 1.0) über die Schaffung der ersten bürgerlichen Behörde durch Kaiser Joseph II. bis zum Bürokratiemodell von Max Weber. Letzteres hatte aufgrund von Regeln, sachlicher Kompetenz und Fachwissen den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor herrschaftlicher Willkür zum Ziel (Verwaltung 2.0).

Die Gegenbewegung entstand dort, wo ursprünglich förderliche Merkmale der Bürokratie nicht mehr zeitgemäß waren und zum Selbstzweck verkamen. Die Umsetzung von New Public Management zog viele Veränderungen nach sich und trug dazu bei, dass sich das Selbstverständnis der Verwaltung in Richtung Service und Dienstleistung verändert hat. Vor allem die Entwicklungen in der Informationsund Kommunikationstechnologie beeinflussten die Wiener Stadtverwaltung nachhaltig: So wurden etwa betriebswirtschaftliche Instrumente eingeführt und neue KundInnenbeziehungsmodelle entwickelt, etwa in Form von E-Government und elektronischen Formularen (Verwaltung 3.0).

Paradigmenwechsel

Der größte Paradigmenwechsel in der Verwaltung findet wohl gegenwärtig statt. Entgegen bisheriger Annahmen, dass Leistungsbeziehungen eindeutig zuordenbar sind, steigt die Komplexität aktueller Fragen in der Verwaltung immer mehr. Die globale Digitalisierung hat einen Veränderungsprozess ausgelöst, dessen Grenzen nicht abzustecken sind. Es gibt kein Zentrum, Hierarchien verschwimmen. Digitale Netzwerke ermöglichen Einzelpersonen das Erreichen ungeheurer Reichweiten, Informationen verteilen sich fast ohne Zeitverzögerung. Das Verhältnis zwischen Menschen wird ermöglicht bzw. beeinflusst durch Maschinen. Die Dezentralisierung von Informationen und Ressourcen geht Hand in Hand mit einer sich verändernden Bedeutung von Freiheit und Macht. In ihrer Auswirkung entspricht dieser gravierende Umbruch der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert.

Der gesellschaftliche Wandel beschleunigt sich zusehends. Gleichzeitig heben sich scheinbare vorhandene Grenzen zwischen Verwaltung und Gesellschaft auf. Allein mit Effizienzbestrebungen sind diese Herausforderungen nicht mehr zu bewältigen. Als transparente Verwaltung versucht die Stadt Wien daher, die ständig steigende Komplexität mit neuen Methoden zu managen und durch Partizipation, Kooperation und vor allem Kommunikation das enorme eigene und in der Öffentlichkeit bestehende Potenzial zu nutzen. Bürgerinnen und Bürger, Institutionen, Expertinnen und Experten und Interessengruppen werden gemeinsam mit der Verwaltung Teil der Problemlösung (Verwaltung 4.0).

Strategie und Dialog

Eine Maßnahme, die den neuen Managementansatz konkret abbildet, ist der 2011 gestartete „Strategiedialog“. Unter dem Motto „Zukunft im Zentrum“ und vor dem Hintergrund sich ändernder Rahmenbedingungen wurde ein Strategieprozess als verbindendes Element aufgesetzt. Dieser Dialog ist ein offenes auf gegenseitigem Vertrauen aufbauendes Kommunikationsformat, das auf der Einbeziehung und konstruktiven Beteiligung der VerantwortungsträgerInnen beruht. Durch die Wahl der Methoden wird eine Großgruppenveranstaltung zu einem großen „Thinktank“. Der Komplexität wird mit Kooperation, Überblick und Vernetzung begegnet. Eine Stadt wie Wien ist aufgrund ihrer Vielfältigkeit stets gefordert, adäquate Strategien zu entwickeln, um den Anforderungen auch in Zukunft gerecht zu werden und ihren hohen Standard zu behaupten. Hier braucht es einen Rahmen, um als Stadt in den Handlungen nachvollziehbar und verständlich zu bleiben. Dieses gemeinsame, Orientierung gebende „Dach“ wird in Form eines „Strategiehauses“ symbolisiert. Der strategische Dialog wird damit über fachliche und Zuständigkeitsgrenzen hinweg durch ein Kreativität und Eigeninitiative förderndes Grundverständnis ergänzt.

Grundsätze

Charakteristisch für den gesamten Prozess sind folgende Grundsätze:

  • Entwicklung braucht Zeit, Raum und Beteiligung sowie eine kontinuierliche Prozessbegleitung. Erfolg allein ist nicht das Ergebnis guter Planung. Eine nachhaltige Strategie braucht die Beiträge aller, proaktiven Gestaltungswillen, klares Führungsverständnis des Top-Managements und eine offene Gesprächskultur sowie ein Mindestmaß an Zeit und passende Settings. Ein systemisch geschultes Team aus den eigenen Reihen sichert die kontinuierliche Prozessentwicklung.
  • Veränderung kann man nicht verordnen. Verstehen entsteht durch zuhören und sich einbringen, Vernetzung durch persönliche Begegnung und Veränderung durch gemeinsames Arbeiten. Humor ist wichtig, Selbstironie nützlich.
  • Form follows function. Passende, spannende, manchmal überraschende oder „verstörende“ systemische Methodensets fördern die Entwicklung. Dazu sind ein professioneller Umgang mit systemischen Gegebenheiten und besondere Fähigkeiten erforderlich (sich auf nicht vorhersehbare Situationen einzulassen, ergebnisoffen zu sein, Innovation zuzulassen).

Bis heute wurden in diesem Format zahlreiche strategische Themen wie „Wien wächst“, Optimierung elektronischer Prozesse, Fehlerkultur oder Risikomanagement umgesetzt. Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Auseinandersetzung einer vielfältigen und interdisziplinären Großgruppe mit komplexen Zukunftsfragen einen adäquaten Rahmen erfordert, in dem Erfolgsfaktoren für erfolgreiches Managen offensiv angegangen und die Voraussetzungen für ein vertrauensvolles Gestalten gemeinsam entwickelt werden.