Evidence-informed Policymaking: Herausforderung für Bund-Länder-Gemeinden

Am 24. September 2017 hielt Dir. Dr. Alter von der OECD einen stark akklamierten Vortrag im FIV- Themenforum. Auf mehrfachen Wunsch werden wichtige Punkte aus der Präsentation sowie aus der Diskussion in diesem Beitrag referiert.

Empirische Daten und kundige Interpretationen für Gutes Regieren

Verbesserte Planungs- und Steuerungsleistungen werden von vielen nationalen und subnationalen Regierungen angestrebt. Es geht dabei vielfach um die Erarbeitung von Wirkungs- und Leistungszielen, um ihre Abstimmung, um effektive Maßnahmen zur Zielerreichung. Schlüsselfaktoren hierfür sind gesicherte empirische Evidenzen (Daten, Erfahrungen) sowie deren Interpretationen. Sie bieten Kenntnisse über Zustände und Entwicklungen, über kausale und indirekte Zusammenhänge in verschiedenen Erfahrungs- und Politikbereichen sowie zwischen politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen. Dazu braucht es präzise Beschreibungen, Messgrößen und Analysen der jeweiligen Phänomene (Realisierungen, Probleme). Da es gilt, zwischen Evidenzen und Meinungen, zwischen manipulierten und tatsächlichen Fakten zu unterscheiden, ist auch die Validität der erzielten Ergebnisse und die Legitimierung der Erkenntnisse durch Betroffene, Beteiligte, Expertinnen und Entscheidungsbefugte erforderlich. Für gutes demokratisches Regieren kommt es eben nicht nur auf die Inhalte der politischen Entscheidungen an, sondern auch wie sie zustande gekommen sind.[1]

Nationale Indikatoren ermöglichen im zwischenstaatlichen Vergleich erste Einblicke

Zum heutigen Standard von empirischen Evidenzen gehören sorgfältig ausgewählte und soweit als möglich international abgestimmte Indikatoren, weiters verlässliche nationale Daten in Zeitreihen, Zeit- und zwischenstaatliche Vergleiche sowie leicht zugängliche Datenbanken. Solche Standards werden etwa von der UNO, der EU und der OECD sowie von den nationalen statistischen Diensten geboten. Sie ermöglichen z.B. Reihungen von Staaten und Regionen nach ihrer Performance oder nach den eingesetzten Ressourcen bei Querschnittsvergleichen und/oder zeigen Entwicklungen in Politikbereichen an Hand von Indikatoren im Zeitablauf. Diese und ähnliche Evidenzen bieten Ansatzpunkte für vertiefende Analysen und Interpretationen. Daraus können wiederum BürgerInnen, Interessensgruppen, Politik und Verwaltung ihre Schlussfolgerungen ziehen und Entscheidungen treffen.

In den beiden folgenden Abbildungen werden an Hand von zwei zentralen Indikatoren, d.s. der Anteil der Ausgaben des gesamten öffentlichen Sektors in Prozent des BIP sowie der Anteil aller öffentlichen Bediensteten in Prozent der Beschäftigten, Vergleiche zwischen den einzelnen OECD-Staaten geboten. In Abbildung 1 liegt Österreich mit skandinavischen Staaten und Frankreich weit über dem Durchschnitt der OECD, wobei im Zeitraum zwischen 2009 und 2016 leichte Rückgänge des Anteils der öffentlichen Ausgaben am BIP erkennbar sind. Dagegen zeigt sich beim Anteil der öffentlichen Bediensteten in Abbildung 2 für Österreich ein signifikant geringerer Anteil unter dem OECD Durchschnitt, während die skandinavischen Staaten und  Frankreich auch bei diesem Indikator über dem OECD Durchschnitt liegen. Kanada wiederum ist in beiden Diagrammen  nahe dem Durchschnitt positioniert. Solche Rankings allein – so anschaulich sie auch sein mögen – erlauben es nicht, ausreichende Erkenntnisse über die Performance des öffentlichen Sektors in den betreffenden Staaten zu gewinnen. Hierzu bedarf es z. B. vertiefter Betrachtungen über strategische Aspekte von erzielten Wirkungen und erbrachten Leistungen sowie der Rahmenbedingungen (sozio-ökonomischer und institutioneller Art, etwa von Ausgliederungen).

 

Abbildung 1: Entwicklung der öffentlichen Ausgaben insgesamt der OECD Mitgliedsländer in Prozent des BIP (2007,2009, 2015 und 2016)
Quelle: OECD, Government at a glance 2017

 

Abbildung 2: Entwicklung der Beschäftigten im öffentlichen Sektor der OECD Mitgliedsländer in Prozent der Gesamtbeschäftigung (2007, 2009, 2015)
Quelle: OECD, Government at a glance 2017

Strategische Ziele und (inter)nationale Evidenzen

Will man die Effektivität des öffentlichen Handelns in einzelnen Bereichen der Lebensqualität  betrachten und beurteilen, gilt es, diesbezügliche Ziele und deren Umsetzung heranzuziehen. Ein Beispiel hierfür bilden die ehrgeizigen EU 2020 Ziele für die gegenwärtige Dekade. Ihnen liegt eine Wachstumsstrategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wirtschaftswachstum zugrunde. Sie sind für die nationale Politik in einem EU-Land grundsätzlich verbindlich und umfassen zentrale Politikfelder, nämlich

  • Beschäftigung,
  • Forschung & Entwicklung,
  • Klimawandel und Energie,
  • Bildung sowie
  • Armut und soziale Ausgrenzung.

Die konkreten Zielvorgaben der österreichischen Bundesregierung in der Übersicht 1 richteten sich nach den empirischen Evidenzen (nationale Durchschnitte) bezüglich der erreichten Performance zu Beginn der Dekade. Im jährlich zu erstellenden Nationalen Reformprogramm werden diese Ziele und die aktuell geplanten Maßnahmen zur Zielerreichung erläutert. Es zeigt sich, dass die für Österreich festgelegten Zielwerte teilweise höher sind als die Zielwerte für die EU insgesamt, dass jedoch die Umsetzung unterschiedlich günstig verläuft.

EU-Ziele und Ziele Österreichs bis 2020 sowie Umsetzungsstand 2015

Übersicht 1: EU-Ziele und Ziele Österreichs bis 2020 sowie Umsetzungsstand 2015
Quelle: Parlament – Budgetdienst, Nationales Reformprogramm 2017, Tab. 5 *) Angabe für 2014 **) vorläufiger Wert für 2016

 

Die Angaben der jeweiligen Indikatoren zur Zielerreichung liefern wichtige empirische Evidenzen über die Realisierung der Wachstumsstrategie in Österreich und in der EU. Derzeit liegen meist die Daten für das Jahr 2015 vor; sie wurden im Nationalen Reformprogramm 2017 publiziert. Eine Aufbereitung der empirischen Daten und eine Einschätzung liegt vom Budgetdienst des Parlaments[2] vor.

Auf Basis der realisierten Zielwerte zur Halbzeit der Dekade liegt Österreich derzeit in allen von den EU 2020-Zielen erfassten Bereichen über dem EU-Durchschnitt, wird jedoch einen Teil der nationalen Ziele bis 2020 voraussichtlich nicht erreichen. Dies betrifft die F&E-Investitionen, die jedoch einen steigenden Anteil der öffentlichen Hand aufweisen, die Beschäftigungsquote, die soziale Eingliederung und Armutsbekämpfung, das Emissionsziel und die Energieeffizienz. Dagegen befinden sich die Kennzahlen für die Bildung (frühzeitige Schul- und Ausbildungsabgänger, Bildungsabschluss im Tertiärbereich) und den Anteil der erneuerbaren Energien auf ihrem Zielpfad oder haben den Zielwert bereits erreicht.

Wie hier auszugsweise gezeigt, sind die empirischen Evidenzen über den Einsatz der öffentlichen Ressourcen und über die erzielten Wirkungen bzw. Leistungen in einzelnen Wachstums- und Wohlstandsbereichen für Österreich vorhanden. Sie sind aber nicht für jedermann leicht einsehbar und werden seitens der Politik teils zu wenig publiziert/kommentiert und sind damit für die Bürgerinnen und Bürger wenig transparent oder nicht einordenbar. Über regionale Differenzierungen in den Daten, über regionsspezifische Problemlagen, über eventuell unterschiedliche Maßnahmen, welche die Parlamente und Regierungen der Länder, Städte und Gemeinden ergreifen könnten, geben sie jedoch keine Auskunft. Dies ist insbesondere bei stark verflochtenen Aufgaben bedeutsam. Solche Verflechtungen bei Trägerschaft und Finanzierung bestehen in Österreich zwischen Bund und den subnationalen Gebietskörperschaften insbesondere im Bildungsbereich, im Energie- und Klimaschutzbereich, in der sozialen Sicherung, im öffentlichen Verkehr. Dies bedeutet, dass zwar auch Länder und Gemeinden zu den EU 2020-Zielen mit ihren Entscheidungen beitragen, in welchem Ausmaß, ob gut abgestimmt und wie effektiv bleibt aber meist unklar.

Neue Einblicke und Einschätzungen durch subnationale Evidenzen

Berücksichtigte man die empirischen Evidenzen auf den subnationalen Ebenen, könnten jedenfalls regional unterschiedliche Ziele und Präferenzen bedacht sowie spezifische Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Zu Recht weist die OECD darauf hin, dass die subnationalen Akteure in mehreren Bereichen für Lebensqualität und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in bedeutendem Ausmaß beitragen, wenngleich es um die Koordinierung nicht immer zum Besten steht.[3] Länder und Gemeinden sind im OECD-Bereich – wie Abbildung 3 weiter unten zeigt – im Durchschnitt für 40 Prozent der gesamtstaatlichen Ausgaben und für fast 60 Prozent der öffentlichen Investitionen verantwortlich.In Österreich sind sektoral abgestimmte Politiken – auch durch Einbezug der Sozialpartner-  durchaus geläufig. Allerdings wird der Mitteleinsatz zwischen dem Bund und den subnationalen Ebenen teils wenig abgestimmt, so etwa bezüglich der strategischen Prioritäten bei den öffentlichen Investitionen[4] oder bei der Armutsbekämpfung. Damit werden Potenziale zu einer effektiveren Aufgabenerfüllung in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Raumordnung zu wenig genützt.

Mit subnationalen Daten und Einschätzungen, derzeit oft nur zusammengefasst für Länder und Gemeinden, teils auch für Metropolregionen, leistet die OECD ihren Mitgliedsländern einen großen Dienst. In Abbildung 3 wird ein finanzwirtschaftlicher Überblick zum subnationalen Sektor im OECD-Bereich (an Hand von Indikatoren des OECD Durchschnitts, für die maximale und minimale Dezentralisierung im OECD-Bereich sowie für Österreich) geboten. Die Angaben zeigen, wie unterschiedlich der subnationale Bereich in einzelnen Staaten aufgestellt ist, was jedenfalls bei Vergleichen bedacht werden muss.

 

Abbildung 3: Anteil der subnationalen Ebenen an gesamtstaatlichen Finanzindikatoren
Quelle: OECD, Government at a glance 2017

 

Bei mehreren finanzwirtschaftlichen Kennzahlen (subnationale Gesamt- und Personalausgaben) liegt Österreich relativ knapp unter dem OECD-Mittelwert, bei den Investitionsausgaben, den Steuereinnahmen und auch bei der Verschuldung sind die Abweichungen vom Mittelwert jedoch beachtlich. Bemerkenswert ist auch, wie groß der Abstand der Indikatoren für Kanada – dem am stärksten föderal organisierten Mitgliedsland der OECD – vom Durchschnitt abweicht. Damit wird erkennbar, dass unterschiedliche föderale (dezentrale) Organisationsformen bestehen, die jeweils differenzierte Abstimmungserfordernisse sowie Koordinationseinrichtungen und –verfahren bedingen.

Entwickeln aussagekräftigerer Indikatoren zur Steuerung komplexer Politikfelder

Nicht nur die vergangenen Krisenjahre haben gezeigt, dass zentralstaatliche Politiken nicht ausreichen, unter den weltweiten Bedingungen der globalen Konkurrenz Wohlstand und Lebensqualität auch in den hochentwickelten Staaten und Regionen zu sichern. Deshalb suchen verschiedene Regierungen neue Wege der Wachstums-, Verteilungs- und Entwicklungspolitik. Dazu gehört u.a. ein besserer Dialog zwischen nationalen und subnationalen Parlamenten und Regierungen sowie zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. Inhaltlich geht es um eine effektivere ganzheitliche Steuerung von Beschäftigung, Bildung, Gesundheit mit besonderem Blick auf die Regionen und Städte. Es gilt, die jeweiligen regionalen Potenziale vermehrt zu nutzen und/oder die spezifischen Probleme zu erfassen und sich gemeinsam für das Reduzieren der inner- und intraregionalen Entwicklungsunterschiede im Interesse  von Beschäftigung und mehr Lebensqualität zu engagieren. Auch hierfür müssen erst die empirischen Evidenzen – international und innerstaatlich – erarbeitet und anerkannt werden.

Im Folgenden wird eine (seit Anfang der 2000er Jahre aufgebaute) Datenbasis der OECD über international einheitliche regionale Indikatoren für Wohlstand und Lebensqualität nach verschiedenen Dimensionen, wie Einkommen, Beschäftigung, Umweltqualität u.a.m. präsentiert. Die Daten werden meist anhand von einem (bei Gesundheit und Beschäftigung von zwei) speziell ausgewählten und klar definierten Indikator gemessen.[5] Damit wird eine – von der nationalen Statistik kaum angestrebte – für Politik, öffentliche Verwaltung und die gesamte Gesellschaft jedoch hilfreiche Basis regionaler empirischer Daten geboten. Die gesammelten Daten werden weiters für analytische Zwecke in verschiedener Hinsicht bearbeitet, etwa durch Normierung und Standardisierung. Die raffinierte – auch interaktive – Aufbereitung[6] erlaubt es nicht nur
-> die Performance jeder einzelnen Region zu erkennen, sondern ermöglicht auch
-> verschiedene Vergleiche zwischen Regionen unterschiedlichen Typs – Nuts 2, Nuts 3, Metropolregionen – innerhalb des jeweiligen Staates sowie die relative Positionierung innerhalb aller OECD-Regionen[7], weiters
-> Analysen bezüglich der regionalen Streuung von Wohlstand (etwa bezüglich des Abstands zwischen den Regionen innerhalb eines Staates, ebenso im internationalen Vergleich) sowie
-> bezüglich der Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt.

Abbildung 4: Relative Performance der österreichischen Bundesländer nach 11 Dimensionen von Wohlstand und Lebensqualität, 2016

In Abbildung 4 wird ein Ausschnitt der regionalen Performance gezeigt, nämlich ein Vergleich zwischen den „besten“ und den „am wenigsten gut“ entwickelten österreichischen Bundesländern in den einzelnen Dimensionen von Lebensqualität und Wohlstand sowie deren Positionierung im Ranking aller 395 Groß-Regionen in den OECD-Staaten. Nicht nur für die gesamtstaatliche Politikkoordinierung, sondern auch für die Regional- und Gemeindepolitik, für die Bürgerschaft, für die Wirtschaft und für die Institutionen der Zivilgesellschaft steht mit diesen erweiterten empirischen Evidenzen ein erst seit 2014 verfügbarer Bestand an objektiv erfassten Vergleichsdaten bereit. Bei zwei Dimensionen (soziale Unterstützung und Zufriedenheit mit dem Leben) werden auch demokratiepolitisch erwünschte oder zweckmäßige subjektive Wahrnehmungen und Einschätzungen verwendet.

Konkret lassen sich aus Abbildung 4 in den einzelnen Dimensionen nur die Bundesländer an den beiden Enden des Rankings ablesen.[8] Es wird ersichtlich, dass die jeweils „besten“ Bundesländer bei fast allen Indikatoren nicht nur deutlich über dem OECD-Durchschnitt für die Groß-Regionen, sondern im obersten Quintil liegen (sich also unter den besten 73 Großregionen der OECD befinden), ausgenommen beim Indikator für die Umweltbelastung sowie beim Indikator für die Wohnqualität. Die am wenigsten zufriedenstellende Performance im Vergleich der Bundesländer ist für die Dimension Umweltqualität festzustellen, wo Kärnten fast am unteren Ende der Reihung liegt. Das beste Land bei der Umweltqualität ist Tirol – es nimmt bei diesem Indikator jedoch nur einen Platz nahe des Durchschnitts aller Regionen der OECD-Länder ein.

Auf Basis solcher empirischer Evidenzen lassen sich in weiterer Folge für Interessierte aus Politik, Verwaltung und Bürgerschaft beispielsweise Überlegungen anstellen, welche historischen, wirtschafts- und/oder gesellschaftspolitischen Konstellationen sowie welcher Ressourceneinsatz diese Ergebnisse (mit)geprägt haben. Ebenso können Erfolgsfaktoren analysiert und Anhaltspunkte für künftige strategische Entscheidungen (z.B. über neue Wirkungsziele) gewonnen werden. Solche Entscheidungen betreffen  nicht nur die Schwerpunktsetzung der öffentlichen Investitionen oder die Erhöhung von Verteilungsgerechtigkeit. Vielmehr können aus solchen Evidenzen auch institutionelle Reformen für eine verbesserte Kooperation und Zielkoordination des öffentlichen Handelns begründet werden.

Politische Herausforderungen für erweiterten Umgang mit empirischen Evidenzen

Während die IKT längst neue Möglichkeiten für verbesserte empirische Evidenzen und deren Kommunikation bietet, wird den politischen-administrativen  Herausforderungen zu wenig Aufmerksamkeit beigemessen.[9] Sie bestünden zunächst in der Erweiterung der empirischen Datenbasis (z.B. bezüglich regionalisierter Daten), aber auch hinsichtlich der Verbesserung der Vertrauenswürdigkeit und der politischen Aussagekraft der verwendeten Daten. Zur erstgenannten Herausforderung ist zu sagen, dass die Einkommensungleichheit und die Vermögensverteilung, teils auch die Armut zu den Bereichen gehören, über die zu wenige Evidenzen oder gar keine „amtlichen“ Informationen vorliegen. Ebenso sind wirkungsbezogene subnationale empirische Evidenzen ausbaubedürftig, da die Vorgabe von Wirkungszielen, deren Realisierung über einheitliche Indikatoren festzustellen wäre, bisher weder einheitlich geregelt noch flächendeckend erfolgt. In bedeutenden subnationalen Aufgabenbereichen, wie der Kinderbetreuung, der ganztägigen sekundären Bildung, der ambulanten Altenpflege liegen zwar empirische Daten vor, jedoch lassen die Qualität der Daten und die daraus von Politik und Verwaltung gezogenen Konsequenzen in einigen Bundesländern zu wünschen übrig. So gilt beispielsweise in Österreich der Umstand des Fehlens vergleichbarer länderbezogener Daten zur Qualität der Kinderbetreuung als ein entscheidendes Hindernis bei der für 1.1.2018 geplanten Einführung eines ersten Schritts der „Aufgabenorientierten Gemeindefinanzierung“, welcher durch das Finanzausgleichsgesetz 2017 festgelegt worden ist.[10]


Ein weiteres Handlungsfeld eröffnet sich seit kurzem durch die im Jahr 2015 von der UNO weltweit vereinbarten 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs)[11]. Sie bilden maßgebliche Perspektiven für nachhaltigen Klima- und Umweltschutz, für soziale Kohäsion und Inklusion sowie für wirtschaftliche Entwicklung bis 2030. Österreich trägt diese Ziele – als Agenda 2030 bezeichnet – mit.[12] Daraus resultieren weitere politische Herausforderungen, gilt es doch, zunächst eine entsprechende empirische Datenbasis aufzubauen, die von allen genannten Akteuren genutzt werden kann und gleichzeitig die politische, publizistische und inhaltliche Arbeit aufzunehmen. Die Statistik Austria – um ein Beispiel zu nennen – hat hierfür die Verpflichtung übernommen, primär die nationalen Daten für die notwendigen Indikatoren, die europaweit für das Monitoring heranzuziehen wären, bis 2017 bereitzustellen.[13]

Die OECD hat sich mit der Frage der Indikatoren bereits intensiver befasst und zunächst in einer Studie die erforderlichen Ergänzungen der OECD Datenbanken bezüglich der Indikatoren für das Monitoring der Umsetzung der Agenda 2030 analysiert. Ergebnis ist die folgende Feststellung im executive summary: „The document identifies 131 indicators covering 98  targets spanning all 17 Goals. It is, however clear, that many SDG targets cannot be currently measured adequately through data routinely collected by the OECD and that significant statistical work is needed to fill some of these gaps“.[14] In Holland hat man ebenfalls begonnen, sich mit den oben genannten Herausforderungen näher zu beschäftigen: Ein kürzlich erschienener Bericht der Statistics Netherlands[15] zeigt, dass von den 169 vereinbarten Indikatoren 34 für die Niederlande nicht relevant wären, dass jedoch 59 Indikatoren erst entwickelt (wovon einige schwierig zu quantifizieren sind – insbesondere zu den goals „sustainable cities and communities“, „peace, justice and strong institutions“ sowie „partnerships for the goals“) und in das Arbeitsprogramm aufgenommen werden müssen.

Wie sich die Länder- und Städteparlamente sowie die subnationalen Regierungen mit der Agenda 2030 befassen werden, ist noch wenig erkennbar. Eine Recherche[16] ergibt vorerst nur, dass die Landeshauptleutekonferenz im Mai 2017 beschlossen hat, die neu in den SDG verankerten Ziele zu unterstützen und in besonderer Weise aktiv zu Umsetzung der dort verankerten Bildungsziele beizutragen (siehe VSt-7490/3 vom 15.5.2017). Die LandesumweltreferentInnenkonferenz hat ihrerseits im Juni 2017 ihre  Nachhaltigkeits-KoordinatorInnen zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 beauftragt, eine gemeinsame Darstellung wesentlicher aktueller Umsetzungsbeiträge innerhalb der jeweiligen Ressortzuständigkeiten bis zur nächstjährigen Konferenz zu erarbeiten.

Strategische Perspektiven, wie die hier angesprochenen, wären auch geeignet, institutionelle (z.B. bezüglich Planungsregionen) und organisationskulturelle Reformen (etwa gleichberechtigte Kooperation) im föderalen System voran zu bringen. Wie bereits angeführt geht es um die Koordinierung vertikal zwischen den staatlichen Ebenen und ebenfalls auch horizontal bezüglich der Investitionsprioritäten oder der Abstimmung von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiken und in interdependenten Sektoren (z.B. Raumordnung, Siedlungspolitik, öffentlicher Verkehr, Energieversorgung).  Dazu sind natürlich mehrfache Lernprozesse notwendig – Lernen voneinander, Bereitschaft bisherige Defizite nicht zu kaschieren[17], sondern explizit zu bearbeiten bzw. zu beheben, Evaluierungen nach international gültigen Maßstäben[18] zu veranlassen und darüber öffentlich zu berichten. Wenn kooperatives Vorgehen gestärkt werden, wenn nachhaltige Kompromisse bei divergierenden Interessen erzielt werden sollen, wären last but not least auch die „weichen“ Schlüsselfaktoren, insbesondere gegenseitiges Vertrauen zwischen den Akteuren sowie die Bürgerpartizipation aufzuwerten.

Ausblick

Evidenz bleibt ein komplexes Thema, auch und gerade in der staatlichen Politik. Entgegen den Befürchtungen mancher Entscheidungsträger ersetzen Daten und Indikatoren weder politisches Handeln, noch schränken sie Entscheidungsspielräume ein. Sie sollen informieren und Entscheidungen über Alternativen etwa erleichtern. Um dieser Funktion gerecht zu werden, müssen sie nicht nur die materiellen Lebensbedingungen abbilden, sondern auch die Lebensqualität erfassen. Messungen müssen differenzierter werden. Nationale Durchschnitte reichen nicht mehr, um die Situationen der Menschen in den Regionen eines Landes zu beschreiben oder die sozialer Gruppen oder Einkommensklassen.

In seiner neuesten Ausgabe „How‘s life? 2017“ bestätigt die OECD Österreich seinen sehr guten Platz im internationalen Vergleich der Lebensqualität. Gleichzeitig gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Das bedeutet einen erhöhten Steuerungsbedarf der Politik, wie es typisch für Mehrebenenstaaten ist. Es bedeutet auch mehr Investitionen in die Datenerhebung, wenn man dem Anspruch vergleichbarer Lebensbedingungen gerecht werden will.

Im selben Bericht der OECD wird zum ersten Mal den öffentlichen Institutionen, Instrumenten und Prozessen der Regierungsfunktion besonderes Interesse entgegen gebracht. Diese vergleichende Analyse des „Wie“ öffentlicher Politik reflektiert Ziel 16 der SDG, das verschiedene Elemente der good governance einschließt. Danach glauben nur 30 Prozent der Österreicher, dass sie Einfluss darauf haben, was die Regierung tut. Für Deutschland liegt derselbe Wert bei 25 Prozent. Auch hier erschließt sich ein neues Feld von Herausforderungen der Politik, was angesichts der bedeutenden Verschiebungen in der politischen Landschaft beider Länder großer Aufmerksamkeit bedarf. Im Sinn der von Liessmann[19] unlängst postulierten Staatskunst könnte Politik im 21. Jahrhundert ihre Autonomie gegenüber den tradierten Ansprüchen und Verpflichtungen von Regionen, Gemeinden und des Zentralstaates erheben. Und weiters unter Berücksichtigung der vielfältigen empirisch zu verifizierenden Zuständen und Trends eine „eigene politische Gestalt“ (Liessmann) anstreben sowie ihre Konturen, Strategien und Verantwortlichkeit entwickeln.

 

[2]Rosanvallon, Historiker und Politikwissenschafter, führte dazu aus: „Die Bürger möchten gehört, um ihrer selbst willen gewürdigt, informiert, mit Respekt behandelt werden. … Umgekehrt zweifeln sie von vornherein die Fundiertheit politischer Maßnahmen an, wenn sie von Regierenden stammen, deren Entscheidungen schlecht begründet scheinen, weil sie ohne wirkliche Einbeziehung der Betroffenen erarbeitet und umgesetzt wurden“ (Gute Regierung, 2016, S. 190).

[2]   Parlament – Budgetdienst: Nationales Reformprogramm 2017.

[3]    OECD, Regions at a glance 2016, S. 9: „New data from an OECD-EU Committee of Regions survey of European regional and local authorities show that the lack of co-ordination across sectors and levels of government, red tape, and excessive administrative procedures are the top challenges for infrastructure investment at the subnational level.“

[4]    Der Anteil der öffentlichen Investitionen in Österreich, der durch die subnationalen Gebietskörperschaften geleistet wird, betrug im Jahr 2016 41,7 Prozent (Stat. Austria, Daten gemäß ESVG 2010 zum Sektor Staat).

[5]    Es handelt sich um 11 Dimensionen, wie z.B. Beschäftigung, Einkommen, Bildung, Umweltqualität, Bürgerpartizipation meist gemessen mit objektiven Indikatoren. Siehe hierfür http://www.oecd.org/cfe/regional-policy/hows-life-country-facts-austria.pdf www.oecd.org/regional/regional-policy/website-topics-indicators-overview.pdf

[6]    Siehe www.oecdregionalwellbeing.org/assets/downloads/Regional-Well-Being-User-Guide.pdf.

[7]    Zu beachten ist, dass die internationale Vergleichbarkeit regionaler Unterschiede durch den Umstand begrenzt aussagekräftig ist, weil der zugrunde gelegte Index stark von der Zahl und der Größe der Regionen abhängt.

[8]    In der OECD Datenbank liegen jedoch die Daten für alle Bundesländer bereit; einzusehen ist die Datenbank  über https://www.oecdregionalwellbeing.org/

[9]    In der Diskussion verwies R. Alter auf den Umstand, dass seiner Beobachtung nach die Verbreitung von empirischen Evidenzen durch die OECD mehrere Jahre braucht, bis die Publikationen in den Mitgliedsländern wahrgenommen werden.

[10]  Siehe z.B. Mitterer/Bauer, Aufgabenorientierung im Finanzausgleich – zwischen Erfolg und Scheitern. ÖGZ 10/2017, S. 11.

[11]  Sie wurden von der Vollversammlung der UNO  im September 2015 beschlossen und bestehen aus 17 goals, 169 targets und umfassen 192 Indikatoren, von denen aber nicht alle für die höher entwickelten Staaten relevant sind. Siehe https://www.bmeia.gv.at/das-ministerium/presse/aktuelles/sustainable-development-goals-sdg/

[12]  Siehe BKA, Beiträge der Bundesministerien zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch Österreich, Wien 2017, S. 7: „Am 12.1.2016 beauftragte die Bundesregierung alle Bundesministerien, die Prinzipien der Agenda 2030 und ihre nachhaltigen Entwicklungsziele in die … Strategien und Programme einzuarbeiten und … entsprechende Aktionspläne sowie Maßnahmen zu erstellen. Dabei sollen alle relevanten staatlichen Organe und KooperationspartnerInnen auf Bundes-, Landes-, Städte- und Gemeindeebene sowie Sozialpartner, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft einbezogen werden.“

[13]  Das BKA informiert dazu wie folgt: „Statistik Austria wird in enger Abstimmung mit der europäischen Ebene 2017 ein erstes nationales Indikatorenset erstellen. Vorgesehen sind … Zeitreihen der nationalen Daten beginnend mit dem Berichtsjahr 2015 und gegebenenfalls Vergleichswerte der EU-28. Die nationalen Indikatoren werden auf der Webseite von Statistik Austria unter dem Themenschwerpunkt »Agenda 2030 – Sustainable Development Goals« abrufbar sein“ (BKA, Umsetzung der Agenda 2030, 2017, S. 9.

[14]   OECD, Measuring distance to the SDG Targets, 2017, S. 1

[15]  Siehe jedoch den Bericht Measuring the SDGs – an initial picture fort he Netherlands, publiziert von Statistics Netherlands (july 2017).

[16]  Siehe u.a. http://www.nachhaltigkeit.steiermark.at/cms/beitrag/12598362/139106430, weiters http://www.nachhaltigkeit.steiermark.at/cms/ziel/140912950/DE/ (beide eingesehen 15.11.2017)

[17]  Nicht unüblich ist es, störende empirische Evidenzen mit Verweisen auf die Problematik von Vergleichen zwischen Regionen wegen unterschiedlicher Rahmenbedingungen nicht anzuerkennen und/oder auf nicht geeignete Indikatoren zurückzuführen und politisch passendere Daten zu beauftragen/zu präsentieren.

[18]  Beispielsweise enthalten die erst im Jahr 2016 revidierten Standards der deutschen Gesellschaft für Evaluation Standards zu Fragen der Nützlichkeit, der methodischen Sauberkeit und Genauigkeit und a. m; siehe www.degeval.de/degeval-standards/Kurzfassung

[19]   Liessmann, Bildung als Provokation 2017, S. 94