Bürokratie, Beamte und Literatur

Verwaltung und geschriebene Sprache stehen in einem engen Beziehungsgeflecht. Diese Beziehung hat das FIV in einem literarischen Diskurs über „Verwaltung – Sprache – Text – Literatur“ näher unter die Lupe genommen.

Die Schriftlichkeit von Normen und behördlichen Entscheidungen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine rechtsstaatliche Verwaltungstätigkeit. Auch die Archivierung und Nachvollziehbarkeit des Verwaltungsgeschehens erfolgt seit jeher textbasiert. Es besteht also eine hohe Affinität der öffentlichen Verwaltung zum geschriebenen Text. Die sprachliche Qualität und die Qualität von Verwaltungsentscheidungen müssen nicht zusammenfallen, da der materielle Inhalt Letzterer eigentlich sprachneutral ist. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass das qualitative Niveau eines Verwaltungs- und damit eines staatlichen Textes auch auf die Entscheidung zurückwirkt; wir könnten dann von einer geradezu literarischen Qualität von Verwaltungstexten reden. Umgekehrt führt auch die Literatur in vielen Wegen zurück zur öffentlichen Verwaltung des Staates. Sowohl die literarischen Protagonisten als auch die literarischen Inhalte erweisen sich vielfach als verwaltungsaffin.

Quadratroman

Frei nach dem 1973 erschienenen Quadratroman von Friedrich Achleitner (Bundesbeamter i. R.) und in der Versform des Schüttelreims folgen abschließend noch zwei kleine literarischgrafische Äußerungen des Autors dieses Beitrages, der auch den literarischen FIV-Diskurs moderierte

Literaten und Literatinnen im öffentlichen Dienst

Nur wenige Autorinnen und Autoren üben ihren Beruf als „freie“ Schriftsteller aus. Jedenfalls in Österreich ist zu bemerken, dass eine große Anzahl der Literaten im öffentlichen Dienst einer Beschäftigung nachgeht. In der juristischen und wissenschaftlichen Fachliteratur ist der öffentliche Dienst naturgemäß stark vertreten. Aber auch die belletristische Produktion wird in einem hohen Ausmaß von öffentlich Bediensteten bestritten. In einer losen Aufzählung, die keine Vollständigkeit beansprucht, lassen sich so bekannte Namen wie Alois Brandstetter, Walter Buchebner, Franz Grillparzer, Paulus Hochgatterer, Ernst Jandl, Alfred Kolleritsch, Friederike Mayröcker, Adalbert Stifter und auch Franz Kafka erkennen, der aber eigentlich „Versicherungs-Beamter“ war. Als historischer Publizist ist schon aufgrund seines quantitativ beeindruckenden Gesamtwerkes der Ministerialbeamte und auch Bundesminister im Unterrichtsministerium Heinrich Drimmel zu nennen.

Die Bürokratie in der Literatur

Der Staat und die staatliche Administration finden in der Literatur eine reichhaltige Spiegelung. Oft werden diese gesellschaftlich bedeutenden Sphären verdichtet als Bürokratie wahrgenommen und finden in diesem Zusammenhang im Werk vieler Schriftstellerinnen und Schriftstellern ihren Niederschlag. In einer eindrücklichen Studie hat die Wiener Germanistin Sabine Zelger dieses Phä- nomen auch in seiner Widersprüchlichkeit untersucht und strukturiert. In ihrer Schrift „Das ist alles viel komplizierter, Herr Sektionschef!“ (2009) weist sie auf gegenläufige Betrachtungsweisen hin, die darin bestehen, dass die bürokratische Staatsverwaltung einerseits unter einem ökonomisch-rationalen Handlungsanspruch gesehen wird und anderseits die Bürokratie geradezu als Inbegriff von Ineffizienz und Irrationalität gilt. Zelger untersucht im Einzelnen die Bürokratie als Äußerung moderner Herrschaft im Sinne Max Webers. In den Romanen Alois Brandstetters und in grotesk-visionärer Form kommt dies bei Fritz von Herzmanovsky-Orlando zum Ausdruck. Geradezu sprichwörtlich gelten in diesem Zusammenhang die kafkaesken Zustände im Werk des Prager Schriftstellers und Juristen. Ein anderer Aspekt sieht die Bürokratie als einen Gegensatz zur Lebenswelt, wie das etwa Thomas Bernhard schon ganz allgemein formuliert: „In der Theorie verstehen wir die Menschen, aber in der Praxis halten wir sie nicht aus.“ Joseph Roth sowie der Autor und Rechtsanwalt Albert Drach sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Die Person des Sektionschefs Leonidas in der bekannten Erzählung „Eine blaßblaue Frauenschrift“ (1941), der in der noch bekannteren Verfilmung durch Axel Corti zu Leonidas Tachezy vervollständigt wird, lässt sich in seiner literarischen Zeichnung von Franz Werfel unter beiden angesprochenen Blickwinkeln betrachten. Die Bürokratie als Zuchtmechanismus wird von Sabine Zelger als weiterer Aspekt aufgegriffen. Nachgerade genetische Bezüge werden im dargestellten (k. u. k.) Beamtenalltag bei dem in der Hofburg wohnenden Alexander Lernet-Holenia sowie bei Friedrich F. G. Kleinwaechter gesehen, der vor allem durch seine umfassende Studie des „Fröhlichen Präsidialisten“ (1955) von intimen Kennern der Verwaltung sehr geschätzt wird. Bei Meinrad Bäcker hingegen blickt man in den gesellschaftlichen Abgrund und erkennt bürokratische Zuteilungsrationalitäten und Kategorisierungen, die auch im Deportieren, Töten und Richten gipfeln können. In der Bürokratieliteratur finden sich noch viele weitere Aspekte, die sich recht gut als Antagonismen darstellen lassen: Phänomene der Präzision und Vernebelung, Normierung und Abweichung, Verund Entstaatlichung und auch der Gegensatz zwischen funktionaler Sprache und der Sprachenvielfalt. Des Öfteren blitzt auch die Utopie der Entbürokratisierung hervor, die – freilich nicht nur in der Literatur – als ein staatliches Paradies und Endziel beschrieben wird, deren mangelnde Realisierung zwar evident ist, aber nichtsdestoweniger auf einem Dauerparadigma beruht. Speziell hinzuweisen ist noch auf das umfangreiche literarische Werk Heimito von Doderers und Robert Musils, die jeweils einen eigenen Kosmos aufbauen, in dem auch die Lebenswelten der öffentlichen Verwaltung und ihrer Protagonisten zentraler Gegenstand sind. Diese bleiben in dem besprochenen Band von Sabine Zelger noch unbelichtet und lassen hoffen, dass eine Erweiterung der Studie folgen wird. Die Empfehlung, sich mit den fundierten literarischen Reflexionen der Autorin auseinanderzusetzen, ist umso nachdrücklicher.

Literarischer Diskurs über Bürokratien und öffentliche Dienste

Am 21. Mai fand im Rahmen eines FIVThemenforums im Kassensaal der von Otto Wagner errichteten „k. k. privilegierten österr. Länderbank“, die heute als Amtsgebäude des Bundeskanzleramtes dient, ein literarischer Diskurs über „Verwaltung – Sprache – Text – Literatur“ statt. Die grundlegenden Positionen wurden aus germanistischer Sicht von Sabine Zelger dargelegt und in exemplarischen Texten von der Schauspielerin Chris Pichler eindrucksvoll vorgetragen. Der Bogen spannte sich dabei von Konrad Bayer, Thomas Bernhard und Albert Drach bis zu Gustav von Festenberg, Elfriede Jelinek, Friedrich F. G. Kleinwächter und Jörg Mauthe. Zum epochalen Werk Heimito von Doderers gab der gleichsam als „Doderist“ zu bezeichnende Jurist und Ökonom Axel Aspetsberger wesentliche Anmerkungen zum Besten.