Stadtentwicklung und Klimaresilienz – ein Widerspruch?

147. Themenforum, virtuell am 13. April 2021, 17 Uhr

Ganz im Zeichen von Klimawandel und den damit einhergehenden Herausforderungen für große und mittlere Städte stand das 147. Themenforum. Der Grazer Magistratsdirektor Martin Haidvogl stellte in seiner Begrüßung fest: Es gebe zwei Standpunkte, die Stadt als einzig möglicher Ankerort für ein energieeffizientes Leben oder „wie gewöhne ich mich an Tropennächte und Betonwüste in einer Stadt“. Und empfohl dazu auch gleich den neuen FIV-Podcast der Serie „Staatsdienerinnen und Staatsdiener im Gespräch“ – mit der ersten Folge zu Klimaresilienz und Stadtentwicklung mit der Wiener Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka und dem Leiter des Stadtbauamtens in Graz Bernhard Inninger. Nachzuhören unter https://www.fiv.at/2021/04/podcast-stadtplanung-und-klimawandel/

Eva Maria Schrittwieser, Managing Consultant Detecon Consulting Austria GmbH, nannte Smart Cities als ihr Steckenpferd und führte durch das bereits fünfte virtuelle FIV-Themenforum.

Universitätsprofessor Rudolf Scheuvens, Dekan an der TU Wien, sagte klar, Wien werde im günstigsten Fall Temperaturen und Klima wie Marseille erhalten – „nur ohne Meer“; im ungünstigsten Fall wie in Katar. Die AGES berechnete bereits für das Jahr 2018 mehr Hitzetote als Verkehrstote. Scheuvens sah dabei zwei Strategien: zum einen den Klimaschutz und die Klimaanpassung, zum zweiten den Umgang mit Wasser und Recycling. Und stellte dazu die provokante Frage: „Hat Wasser keinen Wert, nur weil es vom Himmel fällt?“
Laut Scheuvens müsse jedenfalls die Mobilität und der öffentliche Raum neu gedacht werden, zum Beispiel sei der Flughafen Berlin-Tegel ähnlich wie die Wiener Seestadt geplant worden. Und schließlich gebe es in Wien immer noch 66,9 Prozent motorisierten Individual-Verkehr. Scheuvens verwies in diesem Zusammenhang aber auch auf die Smart City Rahmenstrategie der Stadt Wien, die er in dieser ambitionierten Form noch in keiner anderen Stadt gesehen hätte. Zum Schluss betonte er, die Klimakrise erfordere eine Neudefinition der Prioritätenliste – nicht das Drücken der „Reset-Taste“; zudem stünden dabei „viele Aufgaben für die Verwaltung an“ und meinte damit integriertes Handeln etwa auch in den Bereichen Bildung und Kultur oder etwa Transformationsfähigkeit.

Andrea Schnattinger, Umweltanwältin der Stadt Wien, stellte gleich zu Beginn fest, dass sich die Fläche der Städte seit 1992 verdoppelt habe; dass große Flächen an tropischen Wäldern verloren gegangen seien und sich auch die Treibhausgase seit 1980 verdoppelt haben. Außerdem verwies sie auf die Wichtigkeit von Biodiversität und den dazugehörigen UN-Bericht. Über die Rahmenbedingungen in Österreich sagte sie, laut ZAMG sei das Jahr 2020 zu heiß, zu trocken, zu stürmisch gewesen; laut AGES habe es auch große Ernteausfälle in Ostösterreich gegeben.

Ebenso wie Scheuvens sah Schnattinger den motorisierten Individualverkehr als Problem – auch die Elektromobilität. „Gebot der Stunde“ seien die Kreislaufwirtschaft, Baustoff-Recycling und „raus aus dem Asphalt“.

„Tulln ist schöner“ diente als Beispiel einer mittelgroßen Stadt in einer Metropolregion; Wirtschaftsstadtrat Lucas Sobotka berichtete, dass sich viele seiner Punkte mit jenen von Scheuvens decken würden und ging besonders auf den Begriff „Widerspruch“ zwischen Stadtentwicklung und Klimaresilienz ein. Dieser sei nur vordergründig; neue Unternehmen wollen sich ansiedeln – es kommt zur Versiegelung des Bodens, ebenso bei Zuzug, wenn Wohnraum geschaffen werde; aber es gehe laut Sobotka um einen „Change-Prozess“ mit Bewusstseinsbildung in vier Schritten: Herausforderung erkennen, neue Ideen zulassen, Strategie entwickeln und deren Umsetzung vorantreiben. Sobotka berichtete abschließend stolz vom „Tullner Weg“ – dem Klimamanifest der Stadt sowie etwa der Cities App, die allumfassend sei.

Den Abschluss einer sehr spannenden Veranstaltung bildete die Fragerunde, unter anderem von FIV-Präsident Erich Hechtner zum Problem der „Verdichtung des Wohnraums“ in Städten – dem „in die Höhe bauen“; bei diesem Bewohnerinnen und Bewohner zum Teil skeptisch seien bzw. diese Art des Wohnbaus nur in einer bestimmten Lebensphase attraktiv sei und zur Realisierung eines Chance-Prozesses inmitten einer Pandemie.