13. Clubabend mit Prof. Dr. Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich

am 9. Juni 2021 um 18.30 Uhr im Wiener Rathaus

FIV-Präsident Erich Hechtner begrüßte Martin Selmayr als europäischen „Hochkaräter“. Selmayr betonte in seiner Begrüßung, für ihn ist und bleibt Wien die lebenswerteste Stadt der Welt. Peter Hanke, Wiens Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Arbeit, Internationales und Wiener Stadtwerke, freute sich, wieder so viele Gäste „vor Ort an einem gedeckten Tisch“ zu sehen, denn die Generalversammlung und der Clubabend fanden erstmalig wieder vor Ort in Präsenzform statt. Wiens Wirtschaftsstadtrat bat die Anwesenden als „innovative VerwalterInnen weiter voranzugehen“. Heinrich Schaller, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, wollte „über den Tellerrand blicken“ und betonte, wie wichtig eine gute Kooperation mit der Verwaltung sei.

Mit vielen Bonmots schilderte Martin Selmayr im Gespräch mit Präsident Erich Hechtner seinen Arbeitstag, die Arbeit auf europäischer Ebene und die Zusammenarbeit zwischen Europäischer Kommission und Mitgliedstaaten. Selmayr selbst lebte „länger in Brüssel als in meiner Heimat Deutschland“, arbeitete direkt mit dem langjährigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zusammen, unter anderem als sein Kabinettchef, lernte bereits während seines Studiums Europa und als Kind in Österreich das Skifahren. Nicht zuletzt, verwies er auf die Beziehung zwischen Deutschland und Österreich: Deutschland als Gründungsmitglied, Österreich trat erst nach der Volksabstimmung 1994 der Europäischen Union bei und sei übrigens das einzige Nachbarland, mit dem Deutschland keinen Freundschaftsvertrag geschlossen habe.

Die wichtigste Aufgabe ist es, laut Selmayr, „Europa runter zu brechen, Europa zu erklären und zu kommunizieren“ – das Narrativ sei dabei ebenso von Bedeutung.

Die europäische Verwaltung sei bereits seit vielen Jahren digitalisiert, alle Arbeits-Dokumente seien online in 24 Sprachen abrufbar. Die Verwaltung auf europäischer Ebene und jene der Nationalstaaten seien aber heute „viel vernetzter und offener“; doch müssten die Nationalstaaten „hinter Europa stehen“, denn nur in diesem Ausmaß funktioniere Europa. Ein „Learning“ der Krise sei, wie die einzelnen Länder voneinander abhängig seien.

Auf die letzten 15 Monate Krisenbekämpfung angesprochen, erklärte Selmayr, dass rein von den gesetzlichen Grundlagen Europa für „Gesundheit kein Mandat“ habe, der Bereich sei Kompetenz der Mitgliedstaaten – und „plötzlich hatten wir eine Pandemie“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe Impfstoff für alle Mitgliedstaaten bestellt. Nach dem Mandat der Beschaffung musste immer wieder berichtet werden „ an die 27 nach jeder Verhandlungsrunde“  – trotz der herausfordernden Aufgabe mit dem Ergebnis, dass Europa nunmehr der Kontinent mit der größten Durchimpfungsrate sei.

Ähnlich verhielt es sich laut Selmayr in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008; die Europäische Kommission hatte bislang nur makroökonomische Analysen erstellt, doch „plötzlich war ein Team in Griechenland gefragt, das in nationale Bücher schaute“ – für die Europäische Kommission bis dato undenkbar, sich in nationalstaatliche Angelegenheiten einzumischen. Andererseits habe Italien kürzlich einen sehr guten Wiederaufbauplan erstellt, um Gelder aus EU-Töpfen zu lukrieren, dem die Kommission großen Respekt zollte. Auch das zeige, wie vorteilhaft die Zusammenarbeit für alle Beteiligten ist.

Interessant sei auch, dass das Instrument der Kurzarbeit nur in Österreich und Deutschland bekannt gewesen sei, jetzt aber in 19 Mitgliedstaaten zur Krisenbekämpfung verwendet werde. Und es geht laut Selmayr auch nicht darum, ob Österreich ein „kleiner Mitgliedstaat ist, sondern darum, wie vernetzt sich das jeweilige Land einbringt“. Zudem sei Johannes Hahn, nicht nur Budget-Kommissar, sondern auch jener Kommissar, der über das aktuelle Budget hinaus weitere Finanzmittel erschließt, indem er demnächst Anleihen an den Kapitalmärkten aufnehmen werde.

Selmayr zeigte sich im Gespräch als glühender Europäer: „Europa ist zwar nicht immer so schnell, wie eine Autokratie, aber in China sei man schneller im Gefängnis.“ Seine freie Meinung äußern zu können, sei ein hoher Wert, betonte Selmayr. Auf seiner aktuellen Rad-Tour durch Bundesländer und Regionen Österreichs spreche er mit Bürgerinnen und Bürgern über Nachhaltigkeit, Klimaschutz und etwa NachbarInnen. Gedanken über institutionelle Reformen sind aus seiner Sicht erst wieder vor den nächsten EU-Wahlen interessant.

Fragen über den digitalen Euro, gemeinsamen Grenzschutz und Migration, über die aktuelle „Konferenz über die Zukunft Europas“ und ein digitales Covid-Zertifikat, das erstmals eine gemeinsame digitale Schnittschnelle bilde, rundeten das Gespräch ab.

FIV-Präsident Erich Hechnter bedankte sich für den „äußerst spannenden internationalen Abend“, betonte die Wichtigkeit von Demokratie und stellte abschließend fest, dass der heutige Abend einmal mehr gezeigt habe, wie wichtig der Austausch auf allen Ebenen ist.