Wie viel Wahrheit verträgt eine Organisation? Was heißt Wahrheit eigentlich? Und wozu brauchen wir sie überhaupt? Genau darum ging es beim 153. FIV-Themenforum am 1. März 2023 im vollen Veranstaltungssaal des Alpenvereins, bei dem über 50 Mitglieder anwesend waren.
Eingeleitet hat den Abend Landesrechnungshofdirektorin Drin Edith Goldeband mit einer kurzen Danksagung an Gastgeber und ersten Vorsitzenden des AV Austria, KR Prof. Friedrich Macher, der im Anschluss einen kurzen Überblick über die Geschichte und Tätigkeitsbereiche des Alpenvereins gegeben hat.
Nach dem kurzen Exkurs in die Alpen kehrte man dann aber zurück zum eigentlichen Thema des Abends, der Wahrheit. Tragfähige Entscheidungen zu treffen, das sei eine der Aufgaben für Führungskräfte im politischen Umfeld, so Edith Goldeband. Voraussetzung für diese Entscheidungen wären sachliche Kritik, wirksame Empfehlungen und objektive Feststellungen. Um diese Bedingungen zu verstehen, auch im „postfaktischen“ Zeitalter, wurde Prof. Dr. Alexander Bogner von der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie eingeladen.
Bogners Forschung befasst sich mit der Wissenschaftssoziologie und der Technik- und Risikosoziologie, welche sich mit dem Verhältnis von wissenschaftlicher Expertise, partizipativer Politikberatung und politischem Entscheiden im Kontext pluraler Wahrheitsansprüche beschäftigt.
Am Anfang seines Impulsreferats stellt Bogner die Frage „Wozu eigentlich Wahrheit?“. Er erklärt, wie die Wahrheitsidee ein soziales Miteinander ordne, aber auch den logischen Konformismus und ein rationales Weltbild fördere. Hätten wir in der Gesellschaft eine Indifferenz gegenüber der Wahrheit, so führe uns das zurück in eine Zeit, in der Konflikte durch Macht gelöst werden. Wer Wahrheit aufgebe, riskiere sozialen Stillstand.
Über Wahrheit könne auch diskutiert werden, nur brauche es im Bezug auf Wahrheitsdiskussionen ein Ethos, nur so könne die Diskussion konstruktiv sein. Eine Art Wahrheitsdogmatismus wäre störend, dieser befeuere Krieg. Für Wahrheitsdiskussionen wäre Selbstrelativierung besonders bedeutsam.
Im Weiteren setzt sich Alexander Bogner mit dem Begriff „Organisation“ auseinander. In der Soziologie wird, anders als in der Politikwissenschaft, zwischen Organisationen und Institutionen unterschieden. Moderne Gesellschaften sind demnach Gesellschaften der Organisationen. Organisationen lassen sich über drei Merkmale definieren: freien Ein- und Austritt, freie Gestaltung und freie Zwecksetzung. Organisationen sind also erst möglich, wenn sich eine Gesellschaft freimacht.
Im dritten Teil seines Impulsreferats beschäftigt sich Bogner mit einem derzeit sehr aktuellen Thema, dem Einfluss von Wissenschaft auf politische Prozesse. So sei die Wissenschaft immer mehr zu einer Erklärungs- und Sinnstiftungsinstanz geworden und politische Streitereien, zum Beispiel um Corona-Maßnahmen, werden immer mehr zu regelrechten Wissenschafts- oder Wahrheitsstreitereien. Gerade während der Pandemie gewannen Expert:innen an Relevanz und die Politiker:innen haben sich diese auch permanent zur Seite gestellt.. Allerdings – die normative Dimension ist dabei immer weiter in den Hintergrund getreten, so Alexander Bogner.
Beim Thema Pandemie kommt das Subjekt der Wissenschaftsskepsis auf, wie es auch Edith Goldeband am Anfang des Abends kurz angeschnitten hat. Bogner wiederum erläutert, inwiefern Wissenschaftsskepsis und das Vertrauen in Fake-News eine Bildungsfrage sei. So führe der Druck zur Verwissenschaftlichung zu mehr Unverständnis bei weniger gebildeten Menschen. Diese begeben sich dann auf eine Art Realitäts- und Rationalitätsflucht. Während einige Menschen dann in ihren Telegram- Universen leben, sei gleichzeitig die Wissenschaft zu einer Währung der Politik aufgestiegen.
In seiner Schlussfolgerung fasst Alexander Bogner zusammen, dass eine Verwissenschaftlichung zu einer Entpolitisierung bestimmter Themen führen kann. Wissenschaft werde als politisches Handlungsgebot gesehen, obwohl sie eigentlich nur die Grundlage bieten sollte für politisches Handelns. Dieses Wissenschaftsskepsis auf der einen und die Verwissenschaftlichung auf der anderen Seite habe viel zur Polarisierung der Gesellschaft beigeragen.- wobei der Experte für Österreich noch nicht von einer polarisierten Gesellschaft sprechen will. Dazu fehle noch ein ganz wesentlicher Faktor, nämlich dass der politische Gegner als Feind gesehen werden und das sei in Österreich noch nicht der Fall.
Im Anschluss an Alexander Bogners Impulsreferat wird noch angeregt diskutiert.
Das nächste FIV- Themenforum ist für den 19. April geplant,dann in Aspern zum Thema „Die Zukunft der Energie(raum)planung“.
von Lona Weis