Erfolgsfaktor Lehrkraft

Klassenzimmer

Ist jede/r seines Glückes Schmied? Nicht in Österreich. Hier hängt der Bildungserfolg eines Kindes maßgeblich von Bildung, Einkommen und Herkunft der Eltern ab. Die VerliererInnen des Bildungssystems sind dabei vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, oft mit Migrationshintergrund. Was an Unterstützung im familiären Umfeld fehlt, wird vom Bildungssystem kaum aufgefangen. Bereits im Alter von 10 Jahren weisen Kinder aus bildungsfernen Familien bis zu 3 Jahre Leistungsunterschied (Deutsch, Mathematik) gegenüber Kindern von AkademikerInnen auf. Damit bleiben erhebliche Potenziale und Talente für die Gesellschaft ungenutzt.

Dies hat gravierende Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Wenn ihr Bildungsweg nach einer wenig erfolgreichen Schullaufbahn mit dem Pflichtschulabschluss endet, haben sie kaum eine Zukunftsperspektive. In Österreich lag die Arbeitslosenrate von Personen mit nur Pflichtschulabschluss im Jahr 2016 bei 28%. In Wien sogar bei 38%! Das ist ein Problem für die Zukunftsfähigkeit Österreichs.

Was können wir gegen diese Entwicklung tun? Wie können wir dafür sorgen, dass Kinder sich entfalten und ihr Potential ausschöpfen, unabhängig von Bildung und Einkommen der Eltern? Dr. Walter Emberger hat diese Frage für sich beantwortet, indem er vor fünf Jahren Teach For Austria gründete. Emberger sieht die Lehrkraft als einen entscheidenden Faktor für gelingende Schule.

Die international bedeutende Bildungsstudie des Bildungswissenschaftlers John Hattie bestärkt diese Sichtweise. 20 Jahre lang hat Hattie mit seinem Team Meta-Studien zu Bildungsfragen ausgewertet und dabei auf Daten aus mehr als 90.000 Einzelstudien weltweit zugegriffen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse seiner Studien ist, dass der größte Einflussfaktor, der auf den Lernfortschritt von SchülerInnen wirkt, begeisternde und leidenschaftliche Lehrpersonen und SchulleiterInnen sind.
Strukturelle Maßnahmen allein, wie z.B. finanzielle Ausstattung oder die Verringerung von Klassengrößen, bewirken hingegen eher wenig. Entscheidend sind die Lehrpersonen, die diese Strukturen zum Leben erwecken.

Neue Lehrkräfte an den Schulen

Hier setzt das Modell von Teach For Austria an. Mit dem Fellowprogramm richtet sich die Bildungsinitiative an besonders engagierte HochschulabsolventInnen und Young Professionals aller Fachrichtungen. Diese sogenannten Fellows werden an besonders herausfordernden Schulstandorten eingesetzt. Dort sind sie für zwei Jahre als vollwertige Lehrkräfte mit voller Lehrverpflichtung tätig. Mittlerweile sind an 45 Neuen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen in Wien und Niederösterreich über 120 Fellows und Alumni im Einsatz. An der Ausweitung des Fellowprogramms nach Oberösterreich wird gearbeitet.

Teach For Austria will einen Unterschied im Leben jener SchülerInnen machen, die besonders schlechte Startbedingungen haben. Gemeinsam mit den LehrerInnen, Eltern und den Bildungsinstitutionen vor Ort arbeiten die Fellows dafür, dass möglichst alle SchülerInnen weiterführende Bildungswege (Lehre oder maturaführende Schule) einschlagen und diese auch zu Ende gehen.

Die Besonderheit des Teach For Austria-Fellowprogramms ist, dass die Fellows kein Lehramtsstudium absolviert haben. BewerberInnen durchlaufen ein intensives, vierstufiges Bewerbungs- und Auswahlverfahren. Nur 5-8% von ihnen werden im Fellowprogramm aufgenommen. Es folgt die Teilnahme an einem Leadership Development Programm. Dazu gehört eine elfwöchige Ausbildung zur Vorbereitung auf den Schuleinsatz. Danach werden Fellows über ihre zwei Einsatzjahre hinweg in einem on the job training intensiv ausgebildet.

Fellows als ImpulsgeberInnen

Von vielen BeobachterInnen aus dem Bildungsbereich wird Teach For Austria als „frischer Wind an den Schulen“ wahrgenommen. Neben der internen und externen Evaluierung des Fellowprogramms geben die Aussagen der Schulleitungen Auskunft darüber, wie Fellows an ihren Einsatzschulen wirken. Bei einer Umfrage machten Schulleitungen folgende Aussagen:

  • “Fellows fragen nicht, ‘was muss ich tun’, sondern, ‘was kann ich noch tun?“
  • “Wenn sich Fellows etwas in den Kopf setzen, finden sie Wege, das zu erreichen. Sie haben ein Ziel, suchen sich Verbündete und erreichen dieses Ziel.”
  • “Fellows bringen ein positives Mindset mit.”
  • “Fellows sind ein Motor, die Kultur an der Schule zu verbessern.”
  • “Fellows beißen durch. Aufgeben ist keine Option.”
  • “Mir fällt bei den Fellows vor allem die Liebe zum Kind auf. Ich habe erst seit einigen Wochen einen Fellow, aber das ist mir gleich aufgefallen.”
  • “Fellows stellen unkomplizierte und unkonventionelle Fragen und brechen dadurch den Tunnelblick auf.”
  • “Fellows bringen Bewegung und Entwicklung in den Lehrkörper.”

Sind Teach For Austria Fellows nun die besseren Lehrkräfte? „Nein“, sagt Emberger, „Fellows sehen sich als ImpulsgeberInnen. Zum einen öffnen sich die Schulen für Impulse von außen. Andererseits öffnen sich die Fellows für das Schulsystem und lernen die Bedürfnisse der am wenigsten privilegierten SchülerInnen kennen.“

Umkehrung der öffentlichen Wahrnehmung

Lehrkräfte prägen die nächste Generation und übernehmen damit eine der wichtigsten Aufgaben in der Gesellschaft. Dennoch wird im öffentlichen Diskurs eher negativ über den Beruf gesprochen. Eines der Ziele von Teach For Austria ist daher, den enormen Wert von guten Lehrkräften für SchülerInnen und die Gesellschaft darzustellen. Dafür kommuniziert Teach For Austria öffentlichkeitswirksam die besondere Verantwortung von Lehrerinnen und Lehrern für die Bildungswege benachteiligter SchülerInnen.

Innerhalb von nur vier Jahren ist es gelungen, den Beruf der Lehrkraft an den herausforderndsten Schulen Österreichs für HochschulabsolventInnen aller Fachrichtungen attraktiv zu machen. 2016 gehörte Teach For Austria zu den Top 10 der beliebtesten ArbeitgeberInnen Österreichs (Der Standard und Kununu). Für den Fellowjahrgang 2016 gab es für 50 Plätze knapp 1000 Bewerbungen.

Kein Job sondern eine Aufgabe

Diese Zahlen sind sehr ermutigend. Sie zeigen, dass die Generation der heutigen UniversitätsabsolventInnen echte Verantwortung für nachfolgende Generationen übernehmen will. Der Einsatz als Teach For Austria Fellow und die Teilnahme am Leadership Development Programm werden als prestigeträchtige Herausforderung und Aufgabe wahrgenommen, mit der man das Ziel einer zukunftsfähigen Gesellschaft erreichen kann.

Das Beispiel von Teach For Austria zeigt, wie sich der Blick der Öffentlichkeit auf die Rolle einer Lehrkraft verändern lässt. Es zeigt zudem wie sich der Blick von angehenden Lehrkräften auf sich selbst und ihre Rolle für besonders benachteiligte SchülerInnen ändern kann. Es geht darum, dass Lehrkräfte sich als Führungskräfte verstehen. Denn sie müssen es tatsächlich sein, um bei ihrer besonders herausfordernden Aufgabe erfolgreich zu sein. Wenn wir der Argumentation von John Hattie folgen, wird diese Perspektive eine der Grundlagen einer gelingenden Schule für alle Kinder sein.
Mehr Informationen zu Teach For Austria und dem Fellowprogramm: 

teachforaustria.at