Nach der offiziellen Generalversammlung zieht Petra Draxl, die erste Frau im Vorstand des Arbeitsmarktservice Österreich, die Anwesenden in ihren Bann. Draxl, die vor dieser Funktion 11 Jahre lang das AMS Wien leitete, skizziert in ihrem Vortrag die größten Herausforderungen, mit denen sich der österreichische Arbeitsmarkt beschäftigen muss. Das dritte Rezessionsjahr in Folge und eine steigende Arbeitslosigkeit trotz gleichzeitig steigender Beschäftigung seien eine echte Aufgabe. Obwohl oft der Eindruck entsteht, Österreich sei ein Tourismusland, es ist in Wahrheit ein Industrieland und bekommt diese Tatsache aktuell besonders stark zu spüren; beschäftigte doch die Industrie im Jahr 2024 637.006 Personen – Beherbergung und Gastronomie nur 226.764Personen (rund ein Drittel).
Bildung ist der sicherste Garant gegen Arbeitslosigkeit, denn die Arbeitslosenquote der AMS-Kund*innen mit Pflichtschulabschluss liegt aktuell bei 21,3%. Bei Personen mit Lehrabschluss liegt die Arbeitslosenquote hingegen bei 6,1% und mit Hochschulbildung bei 3,0%. Verstärkt wir das durch Zuwanderung, da diese Personengruppen in der Regel nur niedrigere Qualifikationen vorweisen können.
Außerdem muss der Fokus verstärkt auf der Demographieliegen, denn zwischen Wien und den anderen Bundesländern klaffen Welten auseinander. So ist Wien bis 2050 (mit einem Wachstum von bis zu 5,7%) das einzige Bundesland mit wachsender Erwerbsbevölkerung.
Sehr erfreulich ist der Höchststand an Beschäftigten in Gesamtösterreich, mit rund 4 Mio., dennoch wären dringend neue, flexiblere Modelle für die Beschäftigten nötig (z.B. betreffend die Arbeitszeit). Eine Herausforderung sind auch die ungleiche Verteilung zwischen Mann und Frau in der Care-Arbeit, wie etwa Kinderbetreuung, Pflege, etc. Auch diesein Grund, warum der Gender Pay Gap in Österreich erheblich ist und insgesamt „wienerischer“ werden sollte, denn in Wien ist er noch am kleinsten.
Zwei Drittel der geflüchteten Menschen, die nicht in Beschäftigung sind, leben in Wien. Hier sind etwa 35.000 Konventionsflüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte zu integrieren, wobei, trotz anderslautender Stimmen, die syrische Zuwanderungsgruppe beispielsweise nur an 10. Stelle liegt; die meisten Ausländer*innen in Österreich stammen aus Deutschland, Ungarn und Rumänien. Die Anerkennung von Bildungsabschlüssen ist jedenfalls ausbaufähig, noch dazu ist sie von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
Zum Thema Lehrausbildung: Wien hat eine Lehrstellenlücke. Hier kommen im Schnitt 4,4 Jugendliche auf eine Lehrstelle. Im Rest von Österreich hingegen ist das Verhältnis ausgewogen oder es gibt sogar mehr Lehrstellen als Lehrstellensuchende.
Ein weiteres wichtiges Thema betrifft die älteren Arbeitslosen, die so genannten 55+, denen mit maßgeschneidertenProgrammen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht werden muss. So Läuft etwa die Joboffensive 50+ in Wien schon seit Jahren sehr erfolgreich.
Österreich ist weiterhin „stichtagorientiert“ und zu wenig flexibel, was den Pensionsantritt angeht. Gesunde Menschen könnten, Draxl zufolge, sehr wohl länger arbeiten, wie das auch in Dänemark und anderen EU-Ländern üblich ist. Altersteilzeit Neu, Teilpension, etc. wären vernünftige Zukunftsmodelle.
Was die Zusammenarbeit des AMS mit dem öffentlichenDienst betrifft, so betreut das AMS 770 Dienststellen des Bundes, arbeitet aber genauso eng mit Bundesländern und Gemeinden zusammen.
Im öffentlichen Dienst wurden dem AMS im Jahr 2024 9.500 offene Stellen gemeldet, darauf haben sich 39.000 vom AMS vermittelte Personen beworben; schlussendlich kam es zu über 4.400 Einstellungen.
Weitere wichtige Themen, wie der ökologische Wandel und die Digitalisierung, konnte Petra Draxl auf Grund der fortgeschrittenen Zeit letztlich nur kurz anreißen. Sie stand aber dankenswerterweise noch lange für bilaterale Gespräche mit den Anwesenden zur Verfügung.